I. Fachgebiet Geschichte der Neuzeit / Neuere Geschichte
Das Fachgebiet Geschichte der Neuzeit/Neuere Geschichte, das international als "Early Modern History" bezeichnet wird, existiert erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Zuvor hatte man aufgrund der späthumanistischen Dreiteilung das Fach Geschichte als auch die historische Betrachtung in die Phasen Antike, Mittelalter und Neuzeit unterteilt. In den 60er und 70er Jahren konnte sich schließlich die Einsicht durchsetzen, dass die Zeit zwischen 1500 und 1800 (bzw. 1850) eine eigene Epoche verdiene, da sie einerseits nicht mehr zum Mittelalter, andererseits noch nicht vollständig zur Moderne gehöre und eine besondere historische Einheit darstelle. Inhaltliche und formale Kriterien dienten dabei der Begründung: Um 1500, so wurde argumentiert, habe sich mit der Entdeckung Amerikas die Öffnung der traditionellen Welt vollzogen, mit dem Thesenanschlag Martin Luthers 1517 sei es zur Ausdifferenzierung religiöser und weltanschaulicher Konzepte gekommen; DDR-Historiker brachten die Entstehung des Frühkapitalismus ins Feld, andere Forscher kulturhistorische Neuerungen wie die Erfindung des Buchdrucks und die mit ihm verbundene Text-, Alphabetisierungs- und Kommunikationsvervielfachung, die Entstehung hochkultureller Schriftlichkeit und erster Medien. Bedingt durch den Verschriftlichungsschub ab den 1450er Jahren unterscheidet sich die Quellensituation der Neueren Geschichte deutlich von der des Mittelalters, was zugleich andere Theorien und Methoden der historischen Forschung erfordert. Neuere Geschichte beschäftigt sich mit einer Zwischenzeit, einer Umbruchsphase, mit dem Beginn einer Neuorientierung, einer Zeit der Innovationen und des Wandels. Die sie umfassende zeitliche Periode enthielt bereits in Keimform all jene Problemlagen und großen Wandlungsprozesse, die die weitere Geschichte der Neuzeit bestimmen sollten: Ausbildung der Konfessionen (Konfessionalisierung), moderner Staats- und Wirtschaftssysteme (Absolutismus, Liberalismus, Demokratie), Pluralisierung, Globalisierung, Entstehung der (Natur-) Wissenschaften und Wissenssysteme, Freiheit des Gewissens (Protestantismus, Aufklärung), Gleichheit der Menschen (Französische und Amerikanische Revolution), das Recht zum Widerstand (Bauernkrieg), die Technisierung der Welt vom Buchdruck bis zur Dampfmaschine als Voraussetzung für Industrialisierung und Massenkultur. Nicht zuletzt deshalb gilt die Epoche der Neueren Geschichte auch als "Geburtsstunde", "Inkubationszeit" oder "Musterbuch der Moderne" (W. Schulze).
Innerhalb ihrer Epochengrenzen wird die Neuere Geschichte in verschiedene Abschnitte, Zeitalter oder Perioden unterteilt, die sich an der Politik- und Ereignisgeschichte orientieren (etwa: "Zeitalter der Reformation", "Konfessionalisierung", "Absolutismus", "Aufklärung", "Bürgerliches Zeitalter", Nationalstaaten usw.). Ein Blick beispielsweise in eine Literaturgeschichte zeigt, dass hier völlig andere zeitliche wie inhaltliche Grenzen gezogen werden (z. B. Humanismus, Renaissance, Barockzeitalter, Rokoko oder Biedermeier, Romantik usw.). Für kultur-, mentalitäts- oder geschlechtergeschichtliche Frage- und Problemstellungen oder solche der außereuropäischen Geschichte, sind meist gleichfalls andere als die in der Geschichtswissenschaft üblichen Einteilungen oder Phasen relevant.